Die afroesmeraldenische Religion und ihr System sind äußerst komplex. Das Zentralste ihrer Religion ist die Reziprozität. Doch um das im vollen Umfang verstehen zu können, muss zunächst auf die Wesenheiten eingegangen werden:
Die ànimas sind die Seelen der Verstorbenen. Sie wandern nach dem Totenritual in die Gloria, Himmel – können aber immer wieder zurückkehren. Sie zeigen sich vor allem nachts in Form von Träumen. Ihr eigener Raum ist der Friedhof und das Kirchengebäude. Sie gehören aber ebenfalls dem Lebensraum der Dorfgemeinschaft an. Das Verhältnis zu ihnen ist ambivalent: Sie stellen einerseits Gefahr dar und andererseits unterhalten sie reziproke Beziehungen zu ihnen.
Die Visionen sind ebenfalls Seelen Verstorbener. Sie gelten allerdings als böse Geister, welche man nur schwer einschätzen kann. Man kann bei materiellen Interessen mit ihnen in Kontakt treten, jedoch mit der Konsequenz, dass sich seine Seele (über den Tod hinaus) bei ihm verpflichtet. Sie stehen in gewisser Weise in Verbindung mit dem Teufel. Ihre Kräfte bzw. Handlungen gelten als negativ.
Weitere Wesenheiten sind die Heiligen. Sie leben in der Gloria und wirken als Vermittler Gottes, aber auch aus eigener Kraft. Sie sind nicht zwingend mächtiger als die ànimas oder die Visionen. Es gibt eine Vielzahl an Heiligen, es kommt jedoch nur denjenigen Bedeutung zu, die sich in Statuen oder Bildern materialisieren und durch ihre äußere Schönheit repräsentativ sind. Diese Statuen oder Bilder finden ihren Platz in Kapellen oder Hausaltären. Auch zu ihnen pflegt man eine reziproke Beziehung.
So bilden sie einerseits ein Koordinatensystem, wobei die dörfliche Gemeinschaft ihr Schnittpunkt ist. Andererseits grenzen sie den Tag als geschützten Zeitraum von der gefürchteten Nacht ab. Die Wesenheiten gelten als den Menschen sehr ähnlich – sie haben Interessen und Emotionen. In Notsituationen wird auf sie zurückgegriffen, um sie z.B. um Schutz zu bitten. Ihre Ambivalenz reicht von verlässlicher Hilfe in reziproker Beziehung bis hin zu lebensbedrohlicher Gefährdung. „Mensch und Gemeinschaft bewegen sich immer zwischen den Bereichen guter und böser Kräfte und orientieren sich dabei an kulturell festgelegten Werten, v. a. Respekt und Reziprozität.“
Ein Beispiel für Reziprozität: Der Afroesmeraldener erbittet seine persönliche Unversehrtheit und verspricht gleichzeitig die Organisation eines Festes. Ihre Beziehung lebt also von Gegenseitigkeit. Diese religiöse Reziprozität ist Grundlage für die Reziprozität ihrer Sozialstruktur. Der religiöse Afroesmeraldener erlebt sich immer wieder als in ein Netz von Beziehungen eingebunden – dabei erfährt er Unterstützung und unterstützt selbst.
Aufgrund dieser Tatsache, hat ihre Religion auch keinen Platz für einen Gott als Figur des Schöpfers und Herrschers. Die Reziprozität ist ja nur effektiv, weil die Wesenheiten ambivalent und ihrerseits auch auf die Afroesmeraldener angewiesen sind. Nur dadurch sind sie für ihre Bitten zugänglich. Die Afroesmeraldener zweifeln nicht an Gott, aber wird er „ (…) eindeutig in die Transzendenz und den Absolutheitsanspruch des Heiligen verwiesen, so kann der Mensch nicht mehr mit ihm umgehen und ist seinerseits auf eine individuelle Glaubenshaltung und Abhängigkeit verwiesen, wie dies in den Formen privatisierter, bürgerlicher Religion zum Ausdruck kommt, die einer ganz anderen Sozialstruktur entsprechen und verpflichtet sind.“
Jedoch nicht nur auf religiöser Ebene, sondern auch in Bezug auf ihren Alltag und ihr Überleben. Denn die afroesmeraldenische Welt und Umwelt – mitsamt aller dort gegebenen (Natur-)Mächten und Gefahren – kann nur auf der imaginär-religiösen und der (steuerbaren) sozialen Ebene zugänglich und vor allem handhabbar gemacht werden. Fiele dieser Aspekt der Ambivalenz und somit auch der Reziprozität weg, wäre ihre gesamte Welt abhängig von einer für sie nicht steuerbaren Gottheit.
Die Afroesmeraldener hegen keinen Anspruch auf eine allgemein gültige Religion, es geht ihnen nicht um universale Bedeutsamkeit, sondern um die eigene Lebensrealität.
Weiter zu:
3 Comments
Hello! I could have sworn I’ve been to this blog before but after browsing through some of the post I realized it’s new to me. Nonetheless, I’m definitely glad I found it and I’ll be book-marking and checking back frequently!
I have read your article carefully and I agree with you very much. So, do you allow me to do this? I want to share your article link to my website: gate io
I read your article carefully, it helped me a lot, I hope to see more related articles in the future. thanks for sharing.